Sonntag, 10. Oktober 2010

Von Serbien lernen

Serbien ist ein wunderbares Land. Hier geht es noch um etwas. Wenn dort ein Homosexuellenaufmarsch stattfindet, ist das nicht, wie in westlichen Ländern, ein banales und zutiefst unpolitisches event, sondern ein echtes gesellschaftliches Ereignis. Bei der „Parade des Stolzes“, die am heutigen Sonntag in Belgrad praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, sollen auf jeden Marschierer mindestens fünf beschützende Polizisten entfallen sein. Geschützt musste werden vorm randalierenden Mob. „Die Krawallmacher demolierten Autos, plünderten Geschäfte, rissen Verkehrszeichen aus der Verankerung, setzten Müllcontainer in Brand, warfen Steine“, heißt es im Bericht von „Spiegel online“. Die Polizei sei mit Panzerfahrzeugeangerückt und habe Tränengas eingesetzt.
Wohl dem Land, in dem Schwule (und Lesben?) noch offene Feinde haben. In West- und Mitteleuropa interessieren die Homos keine Sau mehr. Zumindest gibt kein Schwein es zu, wenn es was gegen widernatürliche Sauereien hat. Die katholische Kirche zum Beispiel ist ja eigentlich derselben Meinung wie die serbisch-orthodoxe, dass nämlich praktizierte Homosexualität Sünde sei, wagt das aber öffentlich nicht vorzubringen, schon gar nicht aus Anlass von Schwulenparaden.
Mag sein, dass Serbien ein rückständiges Land ist, ich kann das nicht beurteilen, und selbst wenn ich es könnte, wüsste ich nicht zu sagen ob in einer Welt, in der Fortschritt im Allgemeinen Verlust und Zerstörung bedeutet, Rückständigkeit unbedingt etwas Schlechtes sein muss. Homophobie ist jedenfalls kein Indiz für Rückständigkeit, man wäre denn bereit, auch die USA für rückständig zu halten — aber woran wäre Fortschritt dann noch zu messen, wenn nicht am Paradies des konsumistischen Konformismus? —, denn auch dort wird am Rande jeder Homoparade von Fundamentalisten und Rechtsextremisten (oft in Persunalunion) gegen Widernatur, Unmoral und Zersetzung der Volksgesundheit lautstark demonstriert.
Der Unterschied ist aber eben der, im Falle Serbiens wird in West- und Mitteleuropa darüber berichtet. Dazu tragen die Krawallmacher freilich selber bei, denn mit ihrer Gewalttätigkeit und Zerstörungswut, die mit dem Unmut über einen Umzug von ein paar Homos allein nicht zu erklären sind, stellen sie sich stellvertretend für ihr Land ins Abseits und beschädigen dessen image. Das kommt denen zupass, die Serben sowieso für Barbaren halten und Serbien für ein Land jenseits von Europa.
Die Belgrader Schwulen (und Lesben?) — und erst recht die Schwulen (und Lesben?) anderswo , die sich nun solidarisch empören — sollen sich aber nicht einbilden, die ganze Aufregung sei ihr Verdienst. Im Gegenteil, sie haben besten Gewissens und im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles getan, um Homosexualität als so normal wie möglich hinzustellen. In manchen Gegenden hat derlei scheinbar funktionierten In Serbien nicht. Dort ist man noch ehrlich und macht seinen Schwulenhass öffentlich. Und das ist gut so. Unversehens wird damit ein Aufmarsch, der andernorts bloß schrille Folklore ist, zur politischen Demonstration. Und Schwule (und Lesben?) könnten wieder wissen, worum es politisch gehen sollte, nämlich nicht um Integration in die bestehenden, also schlechten Verhältnisse, sondern um deren Veränderung. Im Westen hat man das längst vergessen. In Serbien ist es mit Händen zu greifen. Davon sollte man lernen.

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