Freitag, 10. Dezember 2010

Über China: Kommentar eines Kommentars

Wenn Verbrecher wie Verbrecher aussehen, überrascht das wohl nur den, der westliche Politiker für Ehrenmänner hält. In den Tagesthemen vom 10. Dezember kommentierte Stefan Niemann den „leeren Stuhl“ Liu Xiaobos bei der Verleihung des Friedensnobelpreises in Oslo und das Fernbleiben der offiziellen Vertreter einiger Staaten auf chinesischen Druck hin: „Was für ein Armutszeugnis für die selbstgerechten Herrscher in Peking! Ihre lächerliche Angst vor Andersenkenden offenbart sich heute aufs Neue. Ein leere Stuhl in Oslo wird zum Symbol für Unfreiheit und Unterdrückung in China. Dieses düstere Signal weckt hoffentlich auch die letzten Träumer, die China bedingungslos mit den olympischen Spielen beschenkt und auf dem Weg zur Demokratie gewähnt hatten. Doch jetzt ist klar: Nicht die Reformer, die Hardliner bestimmen den Kurs des Regimes.“
Wer um Himmelswillen hat erst die Osloer Zeremonie gebraucht, um zu wissen, das das chinesische Regime eine Verbrecherclique ist? Wer sind die Träumer, von denen Niemann redet? Gehört nicht auch er, der sich im Tagesthemen-Kommentar vom 30. Mai 2008 explizit gegen einen Boykott der olympischen Spiele in Peking aussprach (auch unter Berufung auf den Dalai Lama), zu denen, die der westlichen Öffentlichkeit falsche Hoffnungen machten? Die glaubten, ein bisschen lauwarmes Gerede über Menschenrechte am Rande der Spiele werde die Machthaber beeinflussen?
China ist seit 1949 eine kommunistische Diktatur. Daran ändert auch die „Marktwirtschaft“ nichts. Tatächlich sind Kapitalismus und Gewaltherrschaft keine Gegensätze. China und Russland einerseits, die USA und Europa andererseits unterscheiden sich nur im Stil, nicht aber im Prinzip von einander. Profitgier und Ausbeutung haben eben viele Gesichter.
Nicht dass Demokratie und Diktatur einfach dasselbe wären. Ein Rechtsstaat ist ein feine Sache, wenn er einen schützt. Aber wie weit geht der Schutz, welche Interessen dürfen nicht verletzt werden? Die einen haben ihren Liu, die anderen ihren Assange. Ob letzterer noch dazu kommen wird, die angekündigten Enthüllungen über eine Großbank durchzuziehen, wird sich zeigen.
Und dann dieses Gerede von „Hardlinern“ und „Reformern“! Ob China oder Iran, Russland oder Kenya — diese dümmlichen journalistischen Phrasen verraten ein simples Weltbild und wollen verdecken, dass hier alles an einem Kriterium orientiert ist: Prokapitalistisch oder „prowestlich“ sind stets die „Reformer“, wer etwas anderes will — sei es nun gut oder schlecht — ist ein „Hardliner“. Aber welchen Sinn haben Reformen, die letztlich nur darauf hinauslaufen sollen, die Fehler des Westens zu kopieren?
Seit Jahren kriechen Journalisten, Unternehmer und Politiker den chinesischen Kommunisten in den Arsch, weil man an dem großen Reibach, den die machen, mitschneiden will. Die Folgen, die die brutale Industrialisierung lokal und global hat, werden ignoriert oder als unvermeidbar hingestellt.
„Unsere Bewunderung für die unbestreitbaren Leistungen des chinesischen Volkes, unsere Anerkennung für den beachtlichen Wirtschaftsboom im Reich der Mitte, sie werden nun überschattet, weil die Machthaber in Peking heute erneut das hässliche Gesicht des Polizeistaates gezeigt haben“, schwafelt Niemann und nimmt seine Zuhörer in moralische Geiselhaft. Wer aber ist denn dieses ominöse Wir, das angeblich die Vermarktwirtschaftlichung Chinas bewundert, ein „Wachstum“, das mit der Entrechtung von Menschen und der Zerstörung ihrer Lebensbedingungen erkauft ist? Über die verheerenden ökologischen Folgen des Turbokapitalismus mit kommunistischem Polizeistaats-Antlitz wird ebenso wenig konsequent und offen berichtet wie über die häufigen Proteste und regelrechten Auftstände in der Bevölkerung. Wenn überhaupt versteckt man derlei in Magazinbeiträgen des Fernsehens und im Kleingedruckten der Zeitungen.
Die Verleihung des Friedensnobelpreises an Liu Xiaobo war ein Affront und sollte auch einer sein. Ein paar aufrechte Norweger wagten eine symbolische Geste. Brüskiert sollten sich aber nicht nur die Machthaber in China fühlen, sondern auch ihre Handlanger im Westen, einschließlich all der journalistischen „China-Experten“, die der Öffentlichkeit einzureden versuchen, der Unterschied von Hardlinern und Reformern sei anders als der von Pest und Cholera. China wird nie eine Demokratie werden. Würde es eine, bräche es auf grund seiner diversen sozialen und ethnischen Gegensätze auseinander. Bis dahin aber wird jedes chinesische Regime alles tun, die Bevölkerung in Schach zu halten und mit einer kleinen Schar von Profiteuren auszupressen. Welche natürlichen Ressourcen dabei draufgehen, wird ihnen so wurscht sein wie derzeit der versammelten umweltpolitischen Kompetenz in Cancun und anderswo. Westlicher Lebensstil kann jedenfalls schon auf Grund seiner ökologischen Kosten kein Ziel für China sein. Würde er erreicht, wäre das das Ende der Menschheit.
Statt also die kommunistischen Machthaber in ihren Wahn, mit immer mehr Maktwirtrschaft werde alles besser, zu bestärken, müsste man sie und ihre Politik entschieden bekämpfen. Also nicht nur ihren Polizeistaat, sondern vor allem auch ihren Kapitalismus. Solche Leute verstehen nur die Sprache der Gewalt. Nur ein völliger Boykott Chinas, seine radikale Abschottung vom Weltmarkt und jedem Zugang zu außerchinesischen Ressourcen könnte das Regime beeindrucken, beeinflussen und letztlich stürzen. Denn solange man mit dem Gesindel weiterhin Geschäfte macht, kann ihm das Geschwätz von Menschenrechten und Demokratie letztlich am vergoldeten Arsch vorbei gehen.

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