Donnerstag, 6. Dezember 2012

Zur Zukunft des „Qualitätsjournalismus“

Wie wird derzeit nicht wieder über die „Gratismentalität“ der Mediennutzer gejammert! Die treibe die guten, alten Printmedien in den Ruin. Professionelle Qualität aber koste, also müsse, auch im Internet, „im Prinzip“ dafür bezahlt werden. Nun hat ja eigentlich niemand die Verlage je daran gehindert, sich für die Internetauftritte ihrer Zeitungen und Zeitschriften Bezahlmodelle auszudenken. Wenn anscheinend bisher nichts davon zu ihrer Zufriedenheit funktioniert hat, ist das ihr Problem, nicht das der Leser. Als ob es deren Pflicht wäre, den Verlagen Umsätze zu verschaffen, damit ihrerseits das Publikum mit wunderbaren Erzeugnissen beglücken können!
Vernünftigerweise bezahlt man auch im Internet wie sonst im Leben nur, wenn man unbedingt muss. Alles andere ist Trinkgeld, Spende, Almosen, Geschenk. Ob man zahlen muss, ist aber nicht eine moralische Frage der Dankbarkeit für angebotenen Qualität, denn die kann es auch umsonst geben, sondern eine rein technische Frage des Zugangs. Wird dieser durch eine Bezahlschranke eingeschränkt, erhöht das sogar noch die Attraktivität kostenfreier Angebote. Lediglich eine Art von ökonomischer Totalzensur -- „Für alles muss bezahlt werden oder es wird abgeschaltet!“ -- könnte das verhindern.
Die Annahme, nur was etwas koste, sei etwas wert (und umgekehrt: was einem etwas wert sei, dafür wolle man auch bezahlen), ist schlicht falsch. Sagen wir mal so: Mit journalistischen Produkten ist es wie mit Sex: Wenn man dafür bezahlt, ist er deshalb nicht notwendig besser. Und „Professionalität“ bedeutet zuweilen das Gegenteil von dem, was der Kunde eigentlich wünscht.
Viele meinen ja, weil sie einer Redaktion angehören und ein regelmäßiges Einkommen beziehen, sei das, was sie machen, immer „Qualitätsjournalismus“. Die Wirklichkeit sieht freilich anders aus. Die redaktionellen Beiträge der allermeisten Zeitungen sind schlicht Müll. Schlecht geschrieben, schlecht gedacht, schlecht recherchiert. Das stört die allermeisten Leser aber gar nicht. Sie wollen nicht gute Texte lesen, sondern Texte, die gut ihre Bedürfnisse befriedigen. Gewiss, so manche Verblödungszeitung ist hochprofessionell gemacht, aber will man das wirklich Qualitätsjournalismus nennen?
Auch von den bösen, bösen, die Printmedien in den Ruin treibenden Gratisangeboten im Internet ist das meiste Müll. Auch von den Blogs kann man mindestens 999 Promille getrost vergessen, wenn man nach guter schreiberischer Qualität, nach fundierter Informationsbeschaffung sucht. Trotzdem funktioniert’s. Jeder holt sich ungefähr das heraus, was er möchte. Wie das finanziert wird, ist nicht notwendig von Interesse.
Das finanzielle Interesse der Verlage und der Verlagsmitarbeiter hingegen ist manifest. Verlagen ist „Qualitätsjournalismus“ herzlich egal, die Kasse muss stimmen. Das wird durch Auflagen und Reichweiten erreicht, die für Werbekunden interessant sind. Wenn Dreck sich besser verkauft als Hochwertiges, hat Hochwertiges keine Chance. Die Verlage, von denen hier die Rede sind (es gibt ja idealistische Projekte, die formell auch Verlage sind), sind nun einmal Wirtschaftsunternehmen und verhalten sich auch so.
Selbstverständlich wäre es Journalisten zu gönnen, dass sie für gute Arbeit gut bezahlt werden. (Dass sie offenkundig oft auch für schlechte durchaus bezahlt werden, sei hier einmal nicht problematisiert.) Aber Bezahlung ist eine Bedingung der wirtschaftlichen Existenz, nicht des journalistischen Könnens und Verwirklichens.
Nach der Logik „Nur bezahlte Leistung ist gute Leistung“ müsste man eigentlich auch über ein Honorar für Leser nachdenken. Es gibt ja unter diesen auch gute und schlechte, gründliche und oberflächliche, interessierte und beiläufige, Vielleser und Halbanalphabeten, Mitdenker und Dazwischenquatscher — wie eben bei den Journalisten auch. Und Leser sind für das Bestehenkönnen eines Lesemediums mindestens genauso wichtig wie Macher. Warum also nicht auch das Lesen bezahlen? Ich wäre dafür.
Verlage und ihre Angestellten sehen das naturgemäß anders. Das ist ihr Problem. Und dafür sollen sie, wenn sie können, Lösungen finden. Wenn sie’s nicht können, dann auf Wiedersehen. Viele Menschen verlieren durch Veränderungen von Marktlagen ihre Jobs, und es sind auch schon ganz andere Berufe unwiderruflich verschwunden. Warum nicht auch die bezahlten Zeitungsmacher? Geschrieben und gelesen wird trotzdem werden. Vielleicht, wenn ich mal ein bisschen visionär sein darf, ist gutes journalistisches Arbeiten in Zukunft eine der Tätigkeiten, die nicht oder nicht immer bezahlt, aber durch ein bedingungsloses Grundeinkommen ermöglicht werden. Eines steht jedenfalls fest: Je freier von wirtschaftlichen Vorgaben und Abhängigkeiten sie ist, desto freier gedacht und gemacht kann Medienarbeit sein. Über „Qualität“ entscheiden sowieso ganz andere Faktoren.

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