Freitag, 20. September 2013

Die Wählerinnen und Wähler und wir, der Rest

Das Ganze ist ein bisschen lächerlich. Über sieben Milliarden Menschen werden am nächsten Sonntag nicht den 18. Deutschen Bundestag wählen. Das ist doch wohl einige ganze Menge. Die höchstens vier Dutzend Millionen aber, die es voraussichtlich getan haben werden, nehmen sich trotz ihrer demgegenüber bescheidenen Anzahl (zwei Drittel eines Promills der Weltbevölkerung) davor, dabei und danach furchtbar wichtig und machen ein großes Gewese um ihren Urnengang. Wie kleine Kinder, die freudestrahlend der Mama zeigen, was für ein schönes Kaka sie ins Töpfchen gemacht haben.
Drei Grundtypen von Wahlteilnehmenden lassen sich unterscheiden. Die einen wählen, weil man das eben macht, und geben sie ihre Stimme am liebsten der Partei, der sie sie immer gegeben haben. Programm und Personal interessieren sie wenig, entscheidend ist die gefühlte Übereinstimmung. Andere wählen, weil sie wirklich und wahrhaftig daran glauben, dass es einen Unterschied macht. Für sie ist Demokratie ein Auftrag an sie persönlich, den sie durchaus ernst nehmen. Wählen ist für sie Ausdruck einer Haltung und Folge einer Einsicht. Ihre Entscheidung treffen sie nicht leichtfertig und verstehen und billigen niemanden, dem das wurscht ist. Und dann gibt es noch die, die mit der Stimmabgabe ein persönliches, geradezu egoistisches Interesse verbinden. Mein Kumpel arbeitet für die Partei X, der braucht die Kohle. Ich möchte die lustigen Bundestagsreden von Y nicht missen. Wenn ich Z wähle, fühle ich mich gut.
Gründe, um zur Wahl zu gehen, lassen sich also immer finden. Es sind in jedem Fall Ausreden. Wählerei ist nämlich immer Politikersatz. Das kleinere Übel, die bessere Chance, die einzige Möglichkeit: Stets wird so getan, als sei die Alternative zu einer Wahlentscheidung eine andere Wahlentscheidung. Oder die verdrossene Verweigerung.
In Wahrheit ist Nichtwählen der politische Normalzustand, Wählen aber lediglich ein seltenes Ritual, gleichsam die symbolische Ausnahme, die die reale Regel bestätigt. Mit subjektivem oder objektivem Interesse hat das nichts zu tun. Viele Menschen interessieren sich zum Beispiel sehr für die Politik des Staates Israel, ohne die mindeste Chance zu haben, jemals die Knesset zu wählen. Und von der Politik der USA sind wohl die Menschen überall auf der Welt betroffen, können sie aber nicht im mindesten beeinflussen.
Was mich persönlich betrifft, so bin ich in fast zweihundert Staaten dieser Erde nicht wahlberechtigt. Und ausgerechnet in dem winzigen Österreich soll ich wählen, bloß auf Grund des Zufalls der Geburt und des Wohnsitzes, legitimiert durch eine abseitige Konstruktion namens Staatsbürgerschaft? Doch selbst wenn es so wäre, dass mir ein zufälliges Privileg eine besondere Verantwortung aufzuerlegen vermöchte, so muss das nicht damit gleichbedeutend sein, dieser Verantwortung in den Formen nachzukommen, die allgemein vorgeschlagen werden.
Es stimmt schon, Nichtwählen ist kein Protest (zumindest meist kein gelingender). Wählen aber ist immer affirmativ. Es ist Mitwirkung an einem Ablenkungsmanöver. Jeder weiß doch eigentlich, dass das Wesentliche anders entschieden wird. Und dass in einem stabilen politischen System Wahlen nur das verändern können, worauf es nicht ankommt.
Daraus folgt nun freilich nicht, dass es gleichgültig ist, wen oder was man wählt. Denn selbstverständlich gibt es Unterschied bei dem, was zu Wahl steht. Wen es zum Beispiel stört, dass Deutschland drittgrößter Waffenexporteur der Welt ist und damit von Tod und Zerstörung profitiert, der wird nicht CDU, CSU, FDP, Grüne oder SPD wählen können, die für Kriege und den Erhalt des Militärisch-industriellen Komplexes einzutreten pflegen. Viele andere entscheidende Unterschiede ließen sich anführen.
Doch dass innerhalb des Systems zwischen richtig und falsch, gut und schlecht, wünschenswert und verachtenswert unterschieden werden kann, rechtfertigt das System im Ganzen keineswegs. Wer wählen geht, akzeptiert ein politisches System, dass die meisten Menschen von Entscheidungen, die sie betreffen, ausschließt. So paradox es für manche klingen mag: Es wären beispielsweise eigentlich die Somalier und Somalierinnen, die über den Einsatz der Bundeswehr am Horn von Afrika zu befinden hätten, nicht ein von deutschen Wählerinnen und Wählern zusammengestellter Deutscher Bundestag. An dem grundsätzlichen Unrecht, dass in solchen Fällen stattdessen Unbefugte über Leben und Tod, Wohl und Wehe anderer Menschen bestimmen, ändert es auch nichts, wenn innerhalb besagten Parlaments ein paar Gegenstimmen erhoben werden.
Zugegeben, Demokratie als Zustimmung der Regierten zum Regiertwerden hat etwas Beruhigendes. Es ist angenehm sich um nicht mehr kümmern zu müssen als alle paar Jahre darum, dass andere sich um alles kümmern. Oder zumindest um ein bisschen was. An dem, was man wohl sowieso nicht ändern kann, muss man auch nicht rütteln. Es ist, wie es ist. Manches könnte besser sein, aber Hauptsache alles geht seinen Gang und uns geht's gut.
Nein, Nichtwählen ändert auch nichts. Spielverderber gewinnen keine Partie und weiten das Spielfeld nicht über den Horizont hinaus. Aber wenn ich schon nicht auf den Rasen kacken darf (oder will), finde ich es doch angemessen, den Veranstaltern nicht auch noch meinen symbolischen Obolus zu entrichten für Schauwettkämpfe, bei denen so vielen Teilnahme und Eintritt von vornherein verweigert wird.
Wem nichts besseres einfällt und wer darum meint, unbedingt wählen zu müssen, soll das halt in Gottes Namen tun. Aber es gibt aus meiner Sicht keinen Grund, auch noch stolz darauf zu sein. Ich jedenfalls tu's nicht und bin damit ausnahmsweise mal in der Mehrheit.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen