Donnerstag, 24. August 2017

Antworten auf Fragen zum Nichtwählen

Weil sie im Internet auf Texte von mir zum Nichtwählen aufmerksam geworden sei, wandte sich Valerie Krb, Redakteurin bei der Zeitschrift  „News“, an mich mich der Bitte um ein Interview für einen Artikel über Österreichs Nichtwähler. Ich sagte zu unter der Bedingung, nicht in ein Mikrophon stammeln zu müssen, sondern schriftlich antworten zu dürfen. Hier sind die Fragen von Frau Krb (kursiv) und meine Antworten. Was von dem Interview übriggeblieben ist, kann in der „News“-Ausgabe 35 vom 8. September 2017 nachgelesen werden.
 
Wann waren Sie das letzte Mal wählen?
Bei der letzten Bundespräsidentenwahl (bei jedem Wahlgang). Ich wollte mir nicht hinterher nachsagen lassen, ich hätte Hofer nicht zu verhindern versucht.

Wie oft haben Sie insgesamt schon gewählt? Was haben Sie gewählt (wenn Sie es angeben wollen)?
Zum ersten Mal 1986 gegen den Reitersmann von der SA, Jahre später gegen die Krampflächlerin und zuletzt wie gesagt gegen den Korblumenblauen. Wahlen, bei denen Person gegen Person steht, leuchten mir eher ein, Parteienwahlen nicht. Und ich habe gegen eine niederösterreichische Landeshauptstadt und selbstverständlich für den EU-Beitritt abgestimmt. Weiters: Klassensprecherwahl, ÖH-Wahlen, Wahl des Vertrauensmannes im Zivildienst: Dabei habe ich immer für mich gestimmt und bin durchaus auch gewählt worden. Wahlen, die ich gewinne, sind mir die liebsten.

Warum gehen Sie nicht wählen?
Ich lehne das politische System ab. Wie heißt es so richtig: Wenn Wahlen etwas verändern könnten, wären sie verboten. Dass Menschen über ihre eigenen Angelegenheiten selbst bestimmen sollen, könnte eine feine Sache sein. Aber wo meine Stimme nur eine von Millionen ist, geht es nicht um Demokratie, sondern um Statistik. In Wahrheit holen sich die Mächtigen bei Wahlen bloß die Zustimmung der Mehrheit der Leute dazu ab, dass sie an deren Stelle regieren. Alle vier, fünf Jahre soll man den Parteien einen Blankoscheck ausstellen. Nicht mit mir! Wenn Politiker (oder Journalistinnen) meine Meinung oder meine Wünsche wissen wollen, dürfen sie mich gerne fragen. Aber als anonymes Stimmvieh bin ich mir zu schade.

Mit welcher Partei sympathisieren Sie am ehesten?
Mit absolut keiner. Allenfalls mit Jaroslav Hašeks „Partei für gemäßigten Fortschritt in den Schranken des Gesetzes“, aber die besteht nicht mehr, fürchte ich.

Wie müsste eine Partei sein, damit Sie sie wählen bzw. wie müsste sich das System ändern, damit Sie wählen gehen?
Das System der Abstimmungsdemokratie, in dem (angeblich) die Mehrheit entscheidet, ist doch nur eine Variante von „Der Stärkere setzt sich durch“. Aber so wenig der Stärkere im Recht ist, so wenig ist es die Mehrheit. Wer sagt denn, dass es nicht mehr Trotteln gibt als G’scheite? Die Lebenserfahrung lehrt ja das Gegenteil … Stattdessen plädiere ich für Basisdemokratie und Konsensprinzip: Jeder muss bei einer gemeinsamen Entscheidung zustimmen oder wenigstens nicht dagegen sein, keiner kann überstimmt werden. Ja, ich weiß, das geht nur in kleinen Einheiten und erfordert „endlose“ Diskussionen. Na und? Soll man um der Effizienz und der raschen Resultate willen Rechte beschneiden und sich dem Stärkeren („Mehrheit“) unterwerfen? Warum nicht ein politisches System von unten nach oben aufbauen, getragen von gegenseitigem Respekt, einer Kultur der Konstruktivität und echter Verantwortung füreinander? „Wählen gehen“ entfällt dann naturgemäß.

Wahlpflicht: Was halten Sie davon?
Wahlpflicht fände ich lustig. Will man mich denn mit Gewalt zur Urne schleppen? Den Exekutor einen Strafbescheid eintreiben lassen? Mich fürs Nichtwählen ins Häfen stecken? Das zeigte dann wenigstens, wes Geistes Kind eine solche „Demokratie“ ist. Die Staatsgewalt erzwingt ihre eigene Legitimierung: Sag, dass du für unser System bist, sonst bist du ein Bösewicht.

Wie stehen Sie zu der Aussage: Nicht wählen ist gegen die Demokratie?
Wer bestimmt eigentlich, was „Demokratie“ ist? Warum gerade dem jeweils herrschenden Begriff folgen? Wenn unter Demokratie nicht einfach zu verstehen ist, dass die Regierten dem Regiertwerden zustimmen, sondern dass jeder zusammen mit den anderen davon Betroffenen gemeinsame Angelegenheiten gleichberechtigt entscheidet — dann wäre ich unbedingt für Demokratie! Eine „Demokratie“ jedoch, die nur Rechtfertigungsshow für bestehende Herrschaftsverhältnisse ist, die lehne ich ab. Ich in Anarchist. Ich will keine Herrschaft von Menschen über Menschen Auch der demokratische Staat aber ist ein Staat, und dessen entscheidende Funktion ist es, die Reichen reicher werden zu lassen und den Rest in Schach und halbwegs bei Laune zu halten. Wer da mitmachen möchte, bitte schön. Ich will es nicht.

Welcher Unterschied besteht für Sie zwischen Nichtwählen und Weißwählen? Haben Sie schon einmal weiß gewählt? Warum? Warum nicht?
Wer wählen geht, stimmt dem System zu, egal, was er wählt. Wer ungültig wählt, geht in der Statistik unter. Denn in der öffentlichen Diskussion interessieren nur vergebene Sitze, Koalitionsmöglichkeiten und allenfalls die Wahlbeteiligung. Weißwählen ist da die falsche Botschaft, der noch dazu niemand zuhört. Nur Wahlverweigerung wäre eine klare Ansage. Wer also trotz etwaiger Bedenken wählen geht, darf sich hinterher nicht darüber beschweren, was herauskommt, denn er hat ja vorab in das Verfahren eingewilligt.

Eine Studie von 2013 hat 6 Typen von Nichtwählern definiert: Frustrierte, Systemverweigerer, Enttäuschte, Gleichgültige, Verhinderte, Desinteressierte. Zu welcher würden Sie sich zählen? Oder kann man das nicht so einteilen?
Ich bin sicher nicht desinteressiert oder gleichgültig, auch nicht enttäuscht oder frustriert und war noch nie verhindert. Auch als Verweigerer würde mich nicht bezeichnen, denn man kann sich ja dem herrschenden System eigentlich nicht oder nie ganz verweigern. Ich würde mich (siebenter Typus) eher einen Systemkritiker nennen, einen aktiven Nichtwähler, der für Alternativen zum politisch-ökonomischen System eintritt: Etwa für einen herrschaftsfreien Sozialismus gemäß der alten Formel „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“. Oder wie Dürrenmatt sagt: „Was alle angeht, können auch nur alle lösen. Jeder Versuch eines einzelnen, für sich zu lösen, was alle angeht, muss scheitern.“ Unser Zusammenleben geht uns alle an, darum muss es vernünftigerweise als gleichberechtigte Teilhabe organisiert werden, politisch als konsensuelle Basisdemokratie statt als reale Machtverhältnisse verschleierndes Stellvertretertheater, ökonomisch als an Mensch und Umwelt orientierte Kooperation statt als profitgeile Konkurrenz und zerstörerische Ausbeutung.

Kleinparteien wie Roland Düringers GILT wollen v.a. Nichtwähler ansprechen. Fühlen Sie sich angesprochen?
Nicht die Bohne. Ich halte das für Wichtigtuerei. Es gibt kein richtiges Wählen im falschen politischen System. Solche Retortenparteien sind Placebo-Zäpfchen für unzufriedene Untertanen. Sie lassen das Dogma in Kraft, das da lautet: Wählen ist besser als Nichtwählen. Unsinn! Ich sage: Du sollst nicht wählen, denn das unterstützt letztlich immer die Falschen. Über das Entscheidende, nämlich, wem was gehört und wer an wessen Arbeit verdient, entscheiden Wahlen ohnehin nicht. Eine bessere Welt wäre möglich, aber nur gegen das System, nicht in ihm.

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